Neue Liste von Todesopfern rechtsextremer und rassistischer Gewalt im März 2010 veröffentlicht - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Public Affairs





 

Chanukka 5785




AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 05.03.2010


Neue Liste von Todesopfern rechtsextremer und rassistischer Gewalt im März 2010 veröffentlicht
Nadja Grintzewitsch

Seit der deutschen Wiedervereinigung sind nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung 149 Menschen bei körperlichen Attacken, gezielten Brandanschlägen oder infolge schwerer Misshandlungen gestorben.




Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Hauptanliegen der Amadeu Antonio Stiftung, den demokratischen Grundgedanken zu stärken und die Opfer rassistischer oder rechtsextremer Übergriffe nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Hierfür unterstützt sie mit finanziellen Mitteln Initiativen und Kampagnen gegen Extremismus und AusländerInnenfeindlichkeit. Im April 2003 startete in Kooperation mit dem Stern die Internet-Plattform www.mut-gegen-rechte-gewalt.de, auf der aktuelle Informationen zum Thema Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus angeboten werden.

Der Namensgeber der Stiftung, Amadeu Antonio Kiowa, wurde am 25. November 1990 im brandenburgischen Eberswalde von 50 Rechtsextremen angegriffen und ins Koma geprügelt. Elf Tage später starb der 28-jährige Afrikaner in einem Krankenhaus an den Folgen seiner Verletzungen. Der Fall sorgte bundesweit für Empörung. Auf der neu veröffentlichten Liste steht Kiowa gleich an zweiter Stelle, er gilt als eines der ersten Opfer rechter Gewalt nach der Wende.

Es ist zu befürchten, dass die Anzahl der Todesfälle durch eine hohe Dunkelziffer noch weitaus größer ist. Viele Anschläge wurden des Nachts und in Abwesenheit von ZeugInnen verübt. Auch würden in den offiziellen Statistiken der Bundesregierung viele Opfer nicht genannt: "Es müssen auch die Taten hinzugezählt werden, denen rassistische Motive zu Grunde liegen, ohne dass Täterinnen oder Täter auf den ersten Blick als Rechtsextreme zu erkennen wären", erklärt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. "Denn auch sie sind Opfer menschenfeindlicher Gewalt und wir wollen nicht, dass sie vergessen werden." Daher werde die Liste ständig weiter ergänzt.

Die Schicksale der ermordeten Menschen wurden so genau wie möglich recherchiert. Sie wurden gehetzt, gequält und umgebracht, weil ihre MörderInnen sie als "minderwertig" erachteten. Viele Tathergänge wurden in den Medien publik, wie im Falle des 28-jährigen Farid Guendoul alias Omar ben Noui, der auf der Flucht vor elf Rechtsextremen durch eine Glastür sprang und verblutete. Die meisten Morde blieben jedoch unbekannt.
Auffällig ist: 65 der 149 tödlichen Anschläge wurden unmittelbar nach der Wende oder in den darauf folgenden fünf Jahren verübt. Als Opfer suchten sich die oftmals jugendlichen TäterInnen bevorzugt Menschen aus, die einen sozial schwächeren Status besaßen, als wohnungs- oder arbeitssuchend galten. So auch Emil Wendtland aus Neuruppin, welcher am 1. Juli 1992 von drei Skinheads zusammengeschlagen und anschließend erstochen worden war. Zuvor hatten sich seine Mörder gezielt zum gemeinsamen "Penner klatschen" verabredet. Emil Wendtland wurde 50 Jahre alt.

Neben AsylbewerberInnen und MigrantInnen waren es vor allem Homosexuelle, Angehörige der linken Szene, Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung, Juden und Sinti, die aus menschenfeindlichen Motiven heraus ermordet wurden. Doch auch Männer und Frauen, die in bedrohlichen Situationen Zivilcourage zeigten, gerieten ins Visier der TäterInnen. Als Neonazis am 11. Oktober 1992 ein Lokal im sächsischen Geierswalde überfielen, versuchte die Aushilfskellnerin Waltraud Scheffler zu vermitteln. Daraufhin wurde sie mit einer Holzlatte so heftig am Kopf getroffen, dass sie elf Tage später ihren Verletzungen erlag.

"149 rechtsextreme und rassistische Todesfälle führen uns das ganze Ausmaß der rechtsextremen Bedrohung in Deutschland vor Augen. Die Todesfälle sind der traurige Höhepunkt rechtsextremer Gewalt, die in vielen deutschen Städten alltäglich ist." resümiert Reinfrank.
In vielen Fällen legten sich die MörderInnen völlig abstruse Begründungen für ihre Taten zurecht, wohl um die wahren Gesinnungen zu vertuschen. Am 9. August 2002 wurde der 19-jährige Lehrling Ahmet Sarlak auf einem Volksfest im saarländischen Sulzbach von einem Rechtsextremisten mit fünf Messerstichen in Bauch und Brust getroffen. Er starb einen Tag später an seinen schweren Verletzungen. Als Motiv gab der Täter an, Sarlak hätte ihn mit seiner weggeschnippten Zigarettenkippe getroffen.

Die vollständige Liste finden Sie unter: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de

Die Amadeu Antonio Stiftung im Netz: www.amadeu-antonio-stiftung.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Holger Kulick und Toralf Staud - Das Buch gegen Nazis

Bessere Bekämpfung des Antisemitismus gefordert (2009)

Antisemitismus in Deutschland (2008)


Public Affairs

Beitrag vom 05.03.2010

AVIVA-Redaktion